Smarter Start ab 14 im Gespräch mit…
Prof. Dr. Christian Montag | Juni 2024
Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm.
Gastprofessor an der University of Electronic Science and Technology of China in Chengdu.
Smarter Start: Ist die Frage, ob ein Smartphone in Kinderhände gehört, zu einem Reizthema in unserer Gesellschaft geworden?
C. Montag: Zweifellos finden da extrem aufgeladene Diskussionen statt. Aber wir müssen beim Thema „Smartphone“ natürlich differenzieren. Ich sage immer lapidar: ein Alkoholiker ist auch nicht flaschenabhängig – wir müssen auf die Inhalte schauen. Problematisch für Kinder sind da vor allem die sozialen Medien und Videogames, die extreme Zeitfresser sind.
Smarter Start: Aber es gibt auch Altersgruppen, bei denen gar keine digitalen Inhalte sinnvoll sind, oder?
C. Montag: Für Säuglinge und Kleinkinder ist die Lage eindeutig: so gut wie kein Medienkonsum ist hier empfohlen bzw. sehr überschaubar. Das untermauern unter anderem die Leitlinien der WHO und anderer Gremien. Es ist natürlich kein Problem, wenn die Familie mit der Oma per Video telefoniert, sondern es geht darum, ein Kind nicht vor so einem Gerät zu parken. Die Literatur zeigt recht eindeutig: zu viel Medienkonsum in diesem Alter geht mit einer Verzögerung des Spracherwerbs einher. Kinder müssen in dieser Zeit die Welt mit allen Sinnen erkunden. Es geht um Haptik, das Tasten, Verständnis für die Welt entwickeln - Da ist so eine bunte Wunderkiste eine starke Ablenkung.
Smarter Start: Wie sieht es danach aus?
C. Montag: Im Kindheitsalter ist das spielerische Austoben eine starke Lebensaufgabe. Das „Rough- and Tumble-Play“ ist für alle Säugetiere in dieser Lebensphase ein natürliches Bedürfnis.
Schlechte Nachricht für die Spieleindustrie: dafür braucht man nichts außer einem Spielpartner und idealerweise die Natur draußen. Dieser Spieltrieb schult die Grobmotorik und Kinder erwerben soziale Kompetenzen, das Miteinander. Zum Beispiel wenn man merkt, dass man den anderen versehentlich verletzt. Deswegen spreche ich mich für wenig Technologie in diesem Lebensalter aus.
Smarter Start: Was gefährdet denn diesen Spieltrieb?
C. Montag: Wir haben eine Industrie, die aggressiv daran arbeitet, Online-Zeiten zu verlängern. Da geht es vor allem um Videospiele und die scheinbar kostenlosen Freemium-Spiele fürs Smartphone. Kinder haben noch nicht die Selbstregulationsfähigkeiten, um das Smartphone einfach zur Seite zu legen. Sie sagen eher: „Okay, ich kaufe mir jetzt ein zusätzliches Leben.“ Solche Plattformen bringen ihre Nutzer dazu, Dinge zu tun, die sie nicht tun wollen – Geld ausgeben oder Werbung konsumieren. Je länger man auf diesen Plattformen unterwegs ist, desto mehr hinterlässt man digitale Fußabdrücke, die für die Industrie interessant sind.
Smarter Start: Die Zeit nach der Grundschule ist für viele Eltern schwierig – das aktive Spielen geht zu Ende, das Interesse an Geräten und Apps wächst – müssen auch diese Kinder noch geschützt werden?
C. Montag: Natürlich, aber nicht einfach nur durch Verbote. Aktuell erlauben die Social Media- Plattformen Onboarding ab 13. Für Jugendliche ist es attraktiv auf diesen Plattformen ein Stück Identitätsfindung zu erleben. Das ist ein Ausprobieren, durch Filter, Videos drehen, sich darstellen, gucken, wie komme ich an?
Früher hatten wir Mutproben – heute sind es die Online-Challenges. Beliebtheit wird messbar und geht natürlich mit besonderen Problemen einher wie dem Cyberbullying. Andererseits wünschen sich Jugendliche auch, dass Erwachsene sich für die Plattformen interessieren, und verstehen, dass sie ein Teil der Jugendkultur sind.
Smarter Start: Halten Sie die Altersgrenze 13 für Social Media-Plattformen für sinnvoll?
C. Montag: Solange der Gesetzgeber sagt, vor 13 soll es nicht stattfinden und es Policy der Plattformen ist, vertrete ich die Ansicht, dass wir uns daran halten sollten und es nicht nach unten aufweichen sollten. Ich trete auch dafür ein, dass man sich wie bei einer Bankkontoeröffnung ausweisen muss. Wenn das umgesetzt würde, hätten wir schon mal das Problem der 10 – 11jährigen gelöst, die sich dort schon tummeln.
Smarter Start: Und es würde Eltern die individuelle Entscheidung erleichtern.
C. Montag: Absolut! Wenn das konsequent durchgesetzt würde, dann hätten wir das Thema bis zu diesem Alter nicht. Ab 13 spreche mich für eine „digitale Schuluniform“ aus, die für alle Jugendlichen gleich aussieht. Auch das würde Eltern entlasten. Bis zur Oberstufe könnte ich mir da z.B. vorstellen, dass ein Smartphone-Verbot absolut Sinn machen würde.
Smarter Start: Hier entsteht schnell der Vorwurf der „Digitalisierungsfeindlichkeit“
C. Montag: Das wirft man mir vor, aber das bin ich nicht. Ich bin nur dafür, den digitalen Zugang, der für Lerninhalte in Schulen sinnvoll ist, für alle gleich zu schaffen. Wir müssen uns über einen digitalen Bildungskanon unterhalten und darüber, welche Technologie überhaupt sinnvoll ist. Heutzutage werden Apps ausgerollt, ohne zu testen, ob sie wirklich besseres Lernen ermöglichen. In einer vielzitierten Meta-Studie zeigt sich relativ klar, dass sich das Leseverständnis besser entwickelt, wenn man auf Papier liest statt auf einem Tablet - besonders, wenn man komplexe Artikel liest.
Smarter Start: Was meinen Sie mit Digitalisierungskanon?
C. Montag: Das bedeutet für mich: lernen, was eine seriöse Quelle ist. Wie detektiere ich Fake News? Was ist Datenkapitalismus? Was ist ein Algorithmus? Wie funktionieren große Plattformen?
Mediennutzung im Unterricht sollte zudem zu einem Mehrwert führen. Der muss aber erst mal gezeigt werden. Ich kann mir z.B. vorstellen, dass es im Biologieunterricht hilfreich sein kann, 3D Modelle des menschlichen Körpers einzusetzen.
Smarter Start: Wie wirkt sich Smartphone-Nutzung auf die Konzentrationsfähigkeit aus?
C. Montag: Ein Thema ist sicherlich das, was ich die „Fragmentierung des Alltags“ nenne. Wir haben eine Industrie, die versucht, ihre Nutzer in möglichst jeder freien Minute auf die Plattformen zu bringen. Dadurch kommen wir gar nicht mehr in den Modus einer tiefen Konzentration. Das kennen viele, weil sich auch der Journalismus und andere auf dieses „Click-Baiting“ einstellen. Man hat beim Lesen solcher Artikel das Gefühl, in einer Minute alles erfassen zu müssen, weil man dann schon wieder zum nächsten wechselt.
Smarter Start: Was können Kinder und auch Erwachsene für mehr Konzentration tun?
C. Montag: Wir sind überall nur noch im Dauerfeuer. Man denke an die Lesebestätigung von WhatsApp, die über sozialen Druck agiert. Da zu sagen „Ich antworte jetzt erst einmal nicht“, ist schwierig.
Es gibt ja diese „Brain-Drain-Studie“, die zeigt, dass schon die physische Anwesenheit des Smartphones neben der Tastatur kognitive Ressourcen abzieht. Weil ich schon in der Erwartungshaltung bin, dass da gleich etwas passieren könnte. Das Ding kann sogar ausgeschaltet sein. Wer sich konzentrieren möchte, sollte das Handy aus dem Raum bringen.
Smarter Start: An den Esstisch gehört das Handy für Sie dann sicher auch nicht?
C. Montag: Keinesfalls! Meine Überschrift lautet immer: Wir müssen im Alltag die Struktur zurückerobern, die uns der Datenkapitalismus kaputt gemacht hat: Die Lesebestätigung ausmachen, bestimmte Apps löschen und schauen, wo Technologie einen Mehrwert bringt. Am Esstisch sicher nicht.
Smarter Start: Fühlen sich Kinder mehr gesehen, wenn die Eltern kein Handy am Tisch haben?
C. Montag: Ja. Ich frage abends oft, wie es in der Schule war und was meine Tochter erlebt hat.
Mit dem Smartphone in der Hand können wir andere vor den Kopf stoßen und soziale Normen verletzen. Wir suggerieren, dass das, was auf dem Gerät passiert, wichtiger ist als das, was hier im Raum passiert. Da geht es um einen digitalen Knigge.
Smarter Start: Was ist Ihr Tipp: wie kommen Eltern am besten durch die beginnende Pubertät?
C. Montag: „Verträge“ sind da sehr hilfreich. Man setzt sich an einen Tisch – Kinder formulieren für ihre Eltern, was sie sich vorstellen und umgekehrt. Dieser Vertrag kommt dann für alle sichtbar an den Kühlschrank. Dann fühlen sich Kinder und Jugendliche deutlich ernster genommen. Ich würde trotzdem dafür plädieren: kein eigenes Gerät vor dem 13. Lebensjahr.
Das heißt nicht, dass ich etwas dagegen haben, wenn Kinder davor schon gelegentlich auf dem Tablet der Eltern unterwegs sind. Wir haben ein altes I-phone, auf dem nur Hörspiele sind. Das darf meine Tochter sich ab und zu nehmen. Aber soziale Medien sollten nicht vor dem 13. Lebensjahr stattfinden – Punkt.
Smarter Start: Wie sieht es mit Computerspielen aus?
C. Montag: Das muss wie jeder Medienkonsum ins Gesamtgefüge passen. Ich drehe den Spieß immer um und sage: „Schaut euch eure Kinder an – sind sie gut eingebunden? Klappt es in der Schule? Machen sie ausreichend Sport? Dann schadet etwas Fernsehen oder ein gelegentliches Computerspiel nicht. Werden die zentralen Lebensaufgaben erfüllt, dann kann
in überschaubarem Umfang auch der Medienkonsum stattfinden. Der gute alte Menschenverstand sollte hier greifen – gerade in Anbetracht einer Studienlage, die teilweise noch dürftig ist.
Smarter Start: Wir haben in unserem Vereinsnamen ja den Slogan „Smarter Start ab 14“ Halten Sie das für realistisch?
C. Montag: Ich wünsche mir, dass das realistisch ist. Allerdings sind Kinder unterschiedlich früh bereit für etwas. In jedem Fall ist es so: Gelegenheit macht Diebe - sobald das eigene Gerät da ist, überlässt man die Jugendlichen auch irgendwann sich selbst, man will ihnen ja nicht ständig über die Schulter schauen. Man vertraut dann und lässt ein Stück weit los. Das bedeutet auch, dass die Gefahr, dass es ausufert größer wird. Der Sog wird extrem stark, auf unterschiedliche Plattformen hineingezogen zu werden, ohne dass man es mitbekommt. Der Schritt zu einem eigenen Gerät sollte deshalb gut überlegt sein und meiner Überzeugung nach nicht vor 13 stattfinden.
Darüber hinaus würde ich mir wünschen, dass es in den Schulen bis zur Oberstufe sehr restriktiv gehandhabt wird.
Smarter Start: Sie arbeiten am Zentrum für Schulqualität, das dem Kultusministerium zuarbeitet. Haben Sie das Gefühl, dass Sie gehört werden?
C. Montag: Es ist extrem schwierig, Veränderungen herbeizuführen, weil man leicht als digitalisierungsfeindlich abgestempelt wird. Es tut sich aber eine Menge. Nicht nur Frankreich und China haben das gesetzlich verankert, sondern auch Großbritannien zieht nach.
Der Zeitgeist dreht sich also langsam und auch die EU hat gesetzlich den Jugendschutz auf den Plattformen verbessert – der Wind weht der Tech-Industrie also etwas kälter entgegen.
Smarter Start: Herzlichen Dank für dieses Interview Herr Montag.